Gute Krankenhausdoku im Bayrischen Rundfunk

Kranke(n)häuser Sparen wir uns zu Tode?

Das Herz krampft. Ein Unfallopfer ist verletzt. Das Baby kündigt sich an. In solchen Fällen geht es auf direktem Wege ins Krankenhaus. Der Weg dorthin kann aber weit sein. Hoffentlich nicht zu weit. Immer mehr Kliniken machen dicht. Steht Rendite über Versorgung?

Überversorgt. Unterversorgt. Fehlversorgt. Im Gesundheitssektor gibt es ein riesiges Stadt-Land-Gefälle: Während es in Städten wie München oder Berlin ein Zuviel an ärztlicher Versorgung gibt, hat das Land deutlich zu wenig davon. Gerade die kleinen Kliniken müssen immer öfter schließen. Doch die Mankos fangen schon viel früher an. Denn: Das Geld ist knapp. Fast die Hälfte der Kliniken bundesweit schreibt rote Zahlen.

Finanzierung funktioniert nicht mehr

Woher kommt das Geld für die Krankenhäuser? Der Staat ist für die Infrastruktur der Kliniken zuständig: Er finanziert das Gebäude, Umbaumaßnahmen, die Großgeräte. Die laufenden Kosten für die Behandlungen werden von den Krankenkassen bezahlt. Doch die Rechnung scheint nicht mehr aufzugehen. Zum einen verursachen technische Innovationen und neue Behandlungsmethoden immer mehr Kosten, die durch die Einnahmen nicht mehr gedeckt sind. Zum anderen ziehen sich die Länder immer mehr aus ihrer finanziellen Verantwortung.

„Man kann sagen, der Staat hat sich komplett aus der Finanzierung verabschiedet, die Infrastruktur wird nicht mehr bezahlt und die Häuser müssen mit dem, was sie an Krankenbehandlungen einnehmen, ihre fehlenden Kosten decken. Das ist schon mal eine Minusrechnung. Warum ist das so? Weil es – meine Unterstellung – politisch gewollt ist, dass Krankenhäuser verschwinden.“

Paul Brandenburg, Notfallmediziner

Gewollte Schließungen?

Politisch gewollte Krankenhausschließungen? Eines ist Fakt: In Deutschland gibt es insgesamt zu viele Krankenhausbetten. Nächster Fakt: Krankenhäuser gehören zur Daseinsvorsorge, eine Kernaufgabe des Staats. Und die muss nicht nur in den Ballungsräumen gewährleistet sein, sondern auch auf dem flachen Land. Doch die Verteilung wird politisch nicht wirklich reguliert. Es macht sich ein Verdacht breit: Die Bundes- und Landespolitiker hätten schlichtweg nicht den Mut, die Krankenhaussituation zu regeln. Schließungen anzuordnen, um die Bettenzahlen zu korrigieren, bringt Unmut unter den Wählern. So ließe man einfach „den freien Markt“ walten und kappe selbst immer weiter die Gelder. Dann regle sich die Schließung der Häuser von selbst.

„Es hat niemand den Mut, klar zu sagen: Nach unserer Struktur, die wir uns vorgeben, ist das oder das Krankenhaus zu viel, das muss eigentlich weg. Weil natürlich die Kommunen wieder Träger sind. Man macht das – ich sag einmal ganz heftig – auf perfide Art und Weise: Die Erlöse zu kappen, dass dann vor Ort mit heftigen Diskussionen die Krankenhäuser geschlossen werden. Weil die alle dann großen Verlust machen. Es ist nicht unbedingt schön, was da momentan abläuft. Man könnte sich eine ehrlichere Diskussion vorstellen.“

Josef Niedermaier, Landrat Bad Tölz

Knallharte Wirtschaftsbetriebe

Die Konsequenz: Unsere Krankenhäuser sind knallharte Wirtschaftsbetriebe geworden, die miteinander im Wettbewerb stehen. Befeuert wurde dieser Wettbewerb mit Einführung eines neuen Abrechnungssystems im Jahr 2004: Während zuvor die Anzahl der Betten und die Aufenthaltsdauer der Patienten ausschlaggebend für die Abrechnung waren, sind es heute die Krankheitsbilder, die über die Höhe der Zahlungen bestimmen. DRG-System nennt sich diese Abrechnungsart und es werden Fallpauschalen ausgezahlt. Eine höchstkomplizierte Angelegenheit, die allerdinge einen großen Nachteil bringt: Manche Krankheitsbilder sind lukrativer als andere.

„Da kommt’s durchaus vor, dass man Dinge macht, die für den Geldbeutel gewinnbringend sind und für den Patienten überhaupt nicht notwendig. Die müssen jetzt gar nicht schädlich sein. Aber sie sind vielleicht auch nich notwendig – ja? Und das hat sich verändert. Also Mensch ist nicht mehr Mensch mit Krankheit, sondern Krankheit, die Geld bringen könnte.“

Jana Langer, OP-Schwester

So bringt eine Entbindung durchschnittlich gerade einmal 1.500 Euro, eine Knie-Prothese aber fast 7.600 Euro. Auffällig: In Deutschland werden von diesen Prothesen überdurchschnittlich viele eingesetzt. In den Entbindungsstationen werden reihenweise Betten abgezogen oder sie werden ganz geschlossen.

Verlierer: Geburtshilfe

Mittlerweile ist die Geburtshilfe die am meisten bedrohte Sparte der Krankenhausmedizin. Obwohl schon seit 2006 wieder mehr Kinder zur Welt kommen, werden reihenweise Abteilungen geschlossen: Die Zahl der Betten in der Geburtshilfe in Bayern hat sich zwischen 2005 und 2015 halbiert. Der Grund: schlechte Vergütung, Personalmangel und exorbitant hohe Versicherungsgebühren.

Sparen und Gewinn machen

Die Kliniken sparen. Müssen sparen. Häufig als erstes an den Pflegekräften. Und an der Zeit für den einzelnen Patienten. Das geht zu Lasten der Qualität der Arbeit und macht nicht nur die Patienten, sondern auch Ärzte und Pflegepersonal unzufrieden. Sie haben zu viele Überstunden und kommen an ihre Belastungsgrenze.

Und wenn dann auch noch Operationssäle schließen, weil sie nicht ertüchtigt werden können, dann ist sogar hochqualifiziertes  Personal betroffen, z. B. Belegärzte, die ihre Leistungen nicht mehr an den Mann bzw. die Frau bringen können.  Sie orientieren sich um und suchen sich andere Kliniken. Eine Strategie:  immer öfter werden Kliniken privatisiert. Sie gehen an private Träger, meist große private Krankenhauskonzerne. Doch Konzernen reicht keine schwarze Null, sie müssen Gewinn machen. Und da fallen dann die nicht lukrativen Sparten schon mal schnell raus. Manch einer wirft den privaten Konzernen deshalb „Rosinenpickerei“ vor. Doch ganz ehrlich ist diese Diskussion so nicht.

„Wenn Sie einem kommerziellen Unternehmen vorwerfen, dass es ja Kommerz betreibt und Gewinne machen möchte, dann versteh ich die Kritik nicht. […] Es ist natürlich ein Trugschluss, und führt zu Heuchelei oder auch Wählerverarsche, wenn man den Leuten erklärt, dass so ein Konzern dem sozialen Auftrag besser nachkommen kann als die öffentliche Hand, die ja nicht darauf aus ist, Geld zu verdienen.“

Paul Brandenburg, Notfallarzt

Politische Regelung

Gefordert ist also auch hier die Politik: Es müssen Regelungen getroffen werden; das Gewinnstreben der Konzerne muss mit dem Interesse des Patienten vereinbar sein und sich nach dem tatsächlichen Bedarf richten. In Berlin hat man Ende 2015 ein neues Krankenhausstrukturgesetz verabschiedet. Und das sieht auch vor, zusätzliche Qualitätskriterien einzuführen. Doch unter Umständen sind diese sogar eher kontraproduktiv.

„Wenn’s dann dazu führen würde, dass Häuser Patienten ablehnen, weil sie Angst hätten, dass das die Statistik nicht befördern würde, dann ist das eben für mich abzulehnen. Also wenn man z. B. sagt: Den vielfach erkrankten, multimorbiden, älteren Patienten, den operier ich lieber nicht mehr, […] dann kann das nicht im Sinne von uns sein. Qualität heißt jeden Patienten aufzunehmen – egal welche Vorerkrankungen auch da sind und da möchte ich keine Rosinenpickerei haben.“

Melanie Huml, bayerische Staatsministerin für Gesundheit und Pflege

Lösungsansatz: Bürgerkliniken?

Wäre es dann evtl. eine Lösung, dass die Bürger ihre Daseinsversorgung selbst in die Hand nehmen? Es gibt bereits Bürgerkliniken, die gut laufen, und Mitbestimmung hat viele Vorteile. Doch insgesamt wird man die Probleme von Fehlanreizen und Finanzierungslücken im Gesundheitswesen auf Dauer so nicht lösen können. Da ist die Politik gefordert. Und zwar konkret.

Ein erfolgreicher Rettungsversuch – das Bürgerkrankenhaus in Spremberg

In Spremberg bei Cottbus war die Klinik einmal in privater Hand und das hätte fast ihre Existenz gekostet. Als die Situation immer bedrohlicher wurde, stand die Belegschaft auf und kämpfte. Sie nahm die Klinik in die eigenen Hände, gründete einen Förderverein, der das Haus mehrheitlich übernehmen sollte. Mitarbeiter und Bürger konnten Anteile erwerben. Der Plan ging auf: Spremberg blieb als Bürgerkrankenhaus am Netz. 20 Jahre ist das mittlerweile her. In dieser Zeit hat man immer in den schwarzen Zahlen gearbeitet, kein einziges Jahr mit Verlusten. Unter dem Personal herrscht eine große Zufriedenheit, auch wenn deren Einkommen ein wenig unter dem Tariflohn liegt. Dafür ist der Personalschlüssel höher. Zufrieden sind auch die Patienten: Der Weiterempfehlungsgrad liegt bei 96 %. Ein Haus mit Modellcharakter? Schon. Und trotzdem kämpft man auch in Spremberg massiv ums Überleben.

BR 24.5.2017

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